Anfragebeantwortung zu Syrien: Ausstellung von Dokumenten durch die syrische Botschaft in Istanbul, Fälle von Verhaftungen an der Botschaft; Folgen für Familienangehörige in Syrien, wenn sich Personen (z.B. Militärdeserteure) an syrische Vertretungen im Ausland wenden [a-11293]

 

12. August 2020

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

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Ausstellung von Dokumenten durch die syrische Botschaft in Istanbul, Fälle von Verhaftungen an der Botschaft

Es konnten keine Informationen zu Verhaftungen von SyrerInnen an syrischen diplomatischen Vertretungen im Ausland gefunden werden. Dies lässt nicht notwendigerweise Rückschlüsse auf die Lage dieser Personengruppe zu. Gesucht wurde mittels ecoi.net, Refworld, Factiva und Google nach einer Kombination aus folgenden Suchbegriffen: syrian, embassy, consulate, Istanbul, Turkey, dissident, activist, deserter, draft evader, detained, arrest, السفارة السورية, قنصلية, تركيا, اسطنبول, اعتقال, ناشط, معارض, فرار

 

Es konnten lediglich Fälle von Verhaftungen in den innerhalb Syriens befindlichen Abteilungen für Immigration und Reisepässe gefunden werden. Solche Vorfälle wurden von der in Großbritannien ansässigen NGO Syrian Network for Human Rights in folgendem Bericht dokumentiert:

·      SNHR – Syrian Network for Human Rights: The Syrian Regime Uses Passports’ Issuance to Finance Its War and Humiliate Its Opponents, 28. Jänner 2019
http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/The_fourth_worst_passport_and_the_highest_material_cost_in_the_world_en.pdf

 

Enab Baladi, eine 2011 in Daraya bei Damaskus gegründete, der Revolution nahestehende und regimekritische syrische Medienorganisation, veröffentlicht im Mai 2018 einen Artikel, in dem verschiedene Erfahrungen von SyrerInnen geschildert werden, die das syrische Konsulat in der Türkei aufsuchen mussten, um bestimmte Dokumente zu beantragen. Ein Syrer namens Abdelkarim, der ursprünglich aus der Provinz Idlib stamme und mittlerweile in Gaziantep in der Türkei wohne, sei zum Konsulat nach Istanbul gereist, um dort in einem „Eilverfahren“ einen Pass zu beantragen. Abdelkarim, der als Medienaktivist tätig sei, habe sich vor seiner Reise über alle notwendigen Bedingungen zur Ausstellung eines Reisepasses und die anfallenden Gebühren informiert, darunter die Gebühren für einen Vermittler, der Termine am Konsulat für die Überprüfung von Dokumenten und Antragstellungen buche. Aus einem unbekannten Grund können man über die Webseite des Konsulats nämlich keine Termine buchen. Am Ende seien aus seinem Termin drei Termine geworden und die Gebühren für die Ausstellung des Passes hätten sich auf 800 US-Dollar (etwa 680 Euro, Anm. ACCORD) verdreifacht.

Zunächst habe er dem Vermittler 200 US-Dollar überwiesen. Als er dann zum festgesetzten Termin beim Konsulat erschienen sei, habe er, nachdem er einem türkischen Mitarbeiter seine Papiere übergeben habe, den Registrierungsprozess nicht abschließen können. Ihm sei stattdessen gesagt worden, nach 20 Tagen für einen neuen Termin zurückzukommen, ohne dass ihm der Grund für die Verzögerung erklärt worden sei. Abdelkarim habe also wieder beim Vermittler angerufen, unter dem Vorwand, dass er einen Fehler beim Ausfüllen des Antrags gemacht habe. Der Vermittler habe ihm gesagt, dass er zur Passausstellung einen neuen Termin beantragen müsse und dass die Vermittlungsgebühr diesmal 250 US-Dollar betrage. Nach 20 Tagen habe sich Abdelkarim zu einem neuerlichen Termin am Konsulat eingefunden, diesmal habe er alle notwendigen Schritte zur Beantragung abschließen können, darunter die Zahlung einer Gebühr von 800 US-Dollar für die Eilausstellung. Der Pass sei ihm allerdings erst eine Woche später übergeben worden. Bis zu diesem Punkt habe Abdelkarim insgesamt mehr als 1.600 US-Dollar für die Passausstellung und die Reisen von Gaziantep nach Istanbul ausgeben müssen. Er sei der Meinung, dass das syrische Konsulat absichtlich die Möglichkeit einer Terminreservierung online gesperrt habe, um über ausgedehnte Netzwerke von Vermittlern an tausende US-Dollar zu kommen. Beim Erhalt seines Passes sei ihm aufgefallen, dass der Konsulatsstempel im Pass gefehlt habe. Dieser sei jedoch notwendig, um mit dem Pass zu reisen. Der Konsulatsmitarbeiter habe dazu gesagt: „wir freuen uns, den Bürger zu sehen und ihn gleich in der Früh zu erblicken, daher wurde die Entscheidung zur Stempelung zurückgenommen“. Damit sei gemeint gewesen, dass Abdelkarim ein weiteres Mal kommen müsse, um sich den Stempel zu holen. Nach einer langen Diskussion mit dem Konsulatsmitarbeiter habe dieser von Abdelkarim gefordert, einen dritten Termin zur Stempelung seines Passes zu buchen. Laut dem Vermittler hätte die Reservierung eines dritten Termines etwa 31 US-Dollar gekostet. Abdelkarim habe gegenüber Enab Baladi gesagt, dass der Gesamtbetrag, den er für die Passbeantragung und seine Reisen zum Konsulat in Istanbul ausgegeben habe, 2.400 US-Dollar (etwa 2.042 Euro, Anm. ACCORD) überschritten habe und dass kein syrischer Flüchtling in der Lage sei, so einen Betrag zu zahlen, der 1.100.000 syrische Lira ausmache. Daher sei Abdelkarim wieder nach Gaziantep zurückgekehrt. Enab Baladi zufolge sei dies nicht die offizielle Gebühr für die Ausstellung eines Reisepasses, sondern es hänge davon ab, an welchen Vermittler man gerate und wo in der Türkei man wohne. Enab Baladi habe auf sozialen Medien eine Umfrage zum syrischen Konsulat in Istanbul abgehalten und 150 Nutzer hätten ihre Erfahrungen geschildert. Die meisten hätten übereingestimmt, dass das Konsulat das Verfahren zur Ausstellung von Dokumenten absichtlich kompliziert gestalte und davon profitiere. Viele von ihnen hätten von großen Geldsummen gesprochen, die sie für die Ausstellung eines Reisepasses bezahlt hätten. (Enab Baladi, 27. Mai 2018)

 

Der deutsche Auslandsrundfunksender Deutsche Welle (DW) berichtet im Dezember 2018 über die Sorgen einer syrischen Aktivistin in Deutschland, sich an die syrische Botschaft in Berlin zu wenden. Es wird erwähnt, dass die Botschaft eng mit dem syrischen Geheimdienst zusammenarbeite:

„Dima A.* ist ratlos. Die syrische Botschaft will die junge Frau nicht betreten. Seit drei Jahren lebt die Syrerin in Deutschland, wo sie subsidiären Schutz genießt. Nun ist ihr Reisepass abgelaufen. Den neuen muss sie mit ihrem subsidiären Status in der syrischen Botschaft beantragen. Davor habe sie Angst, sagt Dima im Gespräch mit der DW. 'Denn erstens bin ich Kurdin, und zweitens habe ich direkt nach Beginn der Revolution als Aktivistin an Demonstrationen und Sitzstreiks teilgenommen.‘ Wiederholt sei sie festgenommen worden, so die junge Frau. Auch sei sie vom Regime immer wieder verfolgt worden. Aus diesem Grund will sie sich nicht in die Botschaft begeben. 'Ich habe mich mit der Botschaft zwar in Verbindung gesetzt, allerdings nicht persönlich. Stattdessen habe ich jemand anderes gebeten, das für mich zu tun.‘ Sie habe gefragt, ob es möglich wäre, den Reisepass per Post oder auf eine andere Art verlängern zu lassen. 'Das hat man abgelehnt. Man sagte mir, dass meine persönliche Anwesenheit für diesen Vorgang unabdingbar sei.‘ Kritiker halten diese Regelung für unzumutbar. Die syrische Botschaft in Berlin arbeite eng mit dem syrischen Geheimdienst zusammen, sagt Jens-Martin Rode von '4syrebellion', einer Berliner Gruppe syrischer und nicht-syrischer Aktivisten, die sich für Menschenrechte in Syrien einsetzen. Das habe Konsequenzen: 'Bei jedem Vorgang in der Botschaft findet eine Sicherheitsüberprüfung in Damaskus statt.' Problematisch sei zudem, dass der syrische Staat für die Ausstellung eines zwei Jahre gültigen Passes offiziell mehr als 245 Euro verlange. 'Diese Kosten fließen natürlich in bar direkt an den syrischen Staat. Wenn man von rund 400.000 Syrern mit subsidiären Schutzstatus ausgeht und den Betrag hochrechnet, dann kommen im Laufe der Jahre dreistellige Millionensummen zusammen.'“ (DW, 18. Dezember 2018)

Ein Artikel des in Doha ansässigen arabischen Nachrichtensenders Al-Jazeera vom Jänner 2019 befasst sich mit der Passausstellung für SyrerInnen im Ausland und fasst dabei die Ergebnisse eines Berichtes der NGO Syrian Network for Human Rights zusammen. Mit Beginn der Revolution im Jahr 2011 habe die syrische Regierung für jeden, der im In- oder Ausland einen Pass habe beantragen wollen, eine Genehmigung durch die Sicherheitsbehörden verpflichtend gemacht. Somit sei jedem Oppositionellen und jedem Aktivisten der Zugang zu einem Reisepass verwehrt worden. Gleichzeitig habe sie es jedoch Netzwerken, die mit korrupten Beamten verbunden seien, ermöglicht, Pässe auf Umwegen gegen große Geldsummen auszustellen. Als diese Passausstellungsnetzwerke jedoch mithilfe ihres Dokumentenhandels Millionen von US-Dollar eingenommen hätten und die syrische Regierung im Angesicht des Krieges Geld benötigt habe, habe sie 2015 ein Dekret erlassen, das die Passausstellung für alle SyrerInnen im In- und Ausland ermöglicht habe, ohne zwischen Oppositionellen und anderen Kategorien zu unterscheiden. Gleichzeitig sei eine Gebühr von 400 US-Dollar (etwa 340 Euro, Anm. ACCORD) für die Ausstellung eines Reisepasses festgelegt worden. Im Jahr 2017 habe die syrische Regierung ein Eilverfahren für die Ausstellung eines Reisepasses innerhalb von drei Tagen gegen eine Gebühr von 800 US-Dollar (etwa 679 Euro, Anm. ACCORD) ermöglicht. Zusätzlich müssten SyrerInnen, die in der Türkei leben würden, zwischen 250 und 500 US-Dollar aufwenden, um einen Termin zu buchen, an dem sie das Konsulat in Istanbul betreten dürften. Während des Prozesses der Beantragung des Reisepasses würden sie dann von verschiedenen Arten der Erniedrigung und der Erpressung überrascht, insbesondere wenn der Antragsteller ein Oppositioneller sei. Der Konsulatsmitarbeiter würde unter Umständen den Reisepass des Oppositionellen zerreißen und würde sich weigern, ihm einen neuen auszustellen, unter dem Vorwand, dass behördlich nach ihm gefahndet werde. Er könne sich zudem weigern, dem Antragsteller eine Quittung für bezahlte Gebühren auszustellen oder er könne behaupten, dass er den abgelaufenen Pass nicht erhalten habe, alles, um den Antragsteller erneut zu erpressen. (Al-Jazeera, 28. Jänner 2019)

 

Im oben bereits erwähnten Bericht des Syrian Network for Human Rights werden noch einmal etwas ausführlicher die notwendigen Schritte zur Beantragung eines Reisepasses am syrischen Konsulat in Istanbul geschildert. Der Standardservice für die Passausstellung (ohne Eilverfahren) koste 300 US-Dollar (etwa 255 Euro, Anm. ACCORD) und dauere zwei bis vier Monate. Ein syrischer Dissident und Aktivist berichtet über seine Erfahrung mit dem Konsulat in Istanbul. Er habe ebenfalls über einen Vermittler für 250 US-Dollar einen Termin am Konsulat vereinbart. Bei seinem Termin sei eine Wartezeit von drei Stunden angefallen, dann habe er die notwendigen Schritte durchführen können und er habe für 300 US-Dollar und einer Registrierungsgebühr von 25 US-Dollar seinen Pass um zwei Jahre verlängern können:

„Turkey: The consular staff at Syrian embassies have effectively created an unofficial network of fraudsters, fixers who collect money from Syrian citizens wishing to obtain a passport; the bribe required by these individuals in exchange for arranging an appointment with consular staff ranges between $250 and $500 depending on the applicant’s needs, i.e. whether they need an urgent appointment or can wait for a later one. These fixers are deployed outside the consulate buildings where they offer their services to the queues of Syrian citizens who know that they must either pay or be at the very back of the queue for services. Whilst this process is not officially acknowledged, it is standard. After deciding on an appointment date, a sum of $800 must be paid if a passport is required urgently, within three working days, or $300 for the standard service when the passport may take between two to four months to be issued. This tactic is intended by the Syrian regime to force the largest possible number of Syrian citizens to pay $800 in order to obtain a passport within three days. In addition, a large proportion of the Syrians in Turkey, many already facing severe financial difficulties, live far from Istanbul city where the Syrian embassy is located, forcing them to pay for the cost of travel and accommodation in Istanbul. Mutasem Abo al Shamat, a Syrian dissident and activist based in Turkey, told SNHR about his experience of renewing his passport in Turkey after he was able to obtain an appointment through one of the aforementioned fixers in exchange for a payment of $250. ‘When I arrived at the consulate, I waited for my turn, which was scheduled at 9 am though they did not allow me to enter until 11 pm. I conducted the transaction and prepared the required papers. I paid $300 for the renewal of the passport for two years, and $25 for the consular registration fee, then they set up a date of getting it in 40 days, and that’s what happened.’ Mutasem also told us that during his visits to the consulate, he saw a lady pointing out to staff that the passport she had paid for and received contained a mistake in her national number, adding that the employee refused categorically to correct the mistake.” (SNHR, 28. Jänner 2019, S. 7-8)

Orient News, ein in Besitz eines syrischen Oppositionellen befindlicher Sender, der in Dubai ansässig ist, berichtet auf seiner Internetseite im Juli 2020 ebenfalls über das Vermittlersystem zur Erlangung eines Termins am Konsulat in Istanbul und das Geld, dass dabei von den Antragstellern erpresst werde. Das Konsulat habe bekanntgegeben, dass es nach zweimonatiger Schließung wegen Corona-Maßnahmen wieder Termine über das Reservierungssystem per Email vergebe. Laut Orient News könne es aber bis zu 25 Tage dauern, bis man eine Antwort erhalte. Die Passausstellung gestalte sich laut einer Quelle ähnlich einer Auktion: wer mehr biete, erhalte seinen Pass schneller. Für 2000 US-Dollar (etwa 1.706 Euro, Anm. ACCORD) erhalte man seinen Pass innerhalb von drei Tagen. (Orient News, 2. Juli 2020)

Folgen für Familienangehörige in Syrien, wenn sich Personen (z.B. Militärdeserteure) an syrische Vertretungen im Ausland wenden

Der oben bereits erwähnte Artikel der Deutschen Welle vom Dezember 2018 gibt folgende Einschätzung von in Deutschland tätigen und die syrische Opposition unterstützenden Gruppen wieder:

„'4syrebellion' und andere den syrischen Aufstand unterstützenden Gruppen haben in einem Offenen Brief an den Berliner Innensenator Andreas Geisel auf einen weiteren Punkt aufmerksam gemacht: 'Alle persönlichen Angaben werden in Datenbanken über Oppositionelle, ihre Angehörigen und ihr Eigentum in Syrien gespeichert. Viele Geflüchtete haben gute Gründe, dem Assad Regime nicht mitzuteilen, wo sie sich aufhalten - auch aus Sorge um in Syrien verbliebene Angehörige. Mit der Aufforderung, den Reisepass zu erneuern, werden ihre persönlichen Daten zwangsläufig aufgedeckt.‘" (DW, 18. Dezember 2018)

InfoMigrants, ein von der EU gefördertes und aus seiner Kooperation der Medien France Médias Monde, Deusche Welle und der italienischen Presseagentur ANSA enstandenes Informationsportal mit Nachrichten zum Thema Migration, nimmt in einem Artikel vom Dezember 2018 auf die oben bereits erwähnten Informationen der Deutschen Welle Bezug und fügt die Aussagen eines Syrers namens Aref Hamza hinzu, der im Onlinemagazin Fann geschrieben habe, dass der Besuch einer Botschaft gefährlich für alle SyrerInnen sei, die Familie in Syrien hätten und deren Aufenthaltsort der syrischen Geheimpolizei unbekannt sei. Falls die Wohnadresse bekannt würde, bestehe das Risiko, dass Familienmitglieder in Syrien Festgenommen, erpresst oder getötet würden:

„’Visiting an embassy is dangerous for all Syrians who have family in Syria and whose place of residence is unknown to the Syrian secret police,’ writes Syrian Aref Hamza in the online magazine Fann. 'If their residence address is discovered, they risk all their family members in Syria being arrested, blackmailed or killed.’" (Infomigrants, 18. Dezember 2018)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, ein unabhängiges Organ der norwegischen Migrationsbehörden, das verschiedenen AkteurInnen innerhalb der Migrationsbehörden Herkunftsländerinformationen zur Verfügung stellt, veröffentlicht im Jänner 2018 unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen einen Bericht zur Lage von Militärdeserteuren und Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben. Laut Landinfo seien Familienmitglieder solcher Personen in manchen Fällen Druck ausgesetzt oder verhaftet worden. Dies treffe insbesondere auf Deserteure mit einem hohen Bekanntheitsgrad zu, etwa Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet, sich der bewaffneten Opposition angeschlossen oder an bewaffneten Aktionen gegen die Armee teilgenommen hätten. Beispielsweise seien in Damaskus Familienangehörige von Oppositionskämpfern in Ostghouta sorgfältig überwacht und unter Druck gesetzt worden, bei Kontaktaufnahme mit staatlichen Behörden, zum Beispiel bei der Beantragung eines Reisepasses, den Behörden Informationen zu übermitteln. Es habe auch Fälle gegeben, in denen Brüder von Deserteuren verhaftet worden seien mit dem Ziel, sie gegen den betreffenden Deserteur einzutauschen, sobald dieser sich einfinde. Laut einem Beobachter der Denkfabrik Carnegie Middle East Center, mit dem Landinfo 2014 gesprochen habe, könne es vorkommen, dass Familienmitglieder von Deserteuren einer Bestrafung ausgesetzt würden, insbesondere dann, wenn es sich beim Deserteur um eine bekannte Person handle. Aus diesem Grund hätten die meisten bekannten Offiziere, die im ersten Jahr des Krieges desertiert seien, ihre Familie mit ins Exil genommen. Laut Aussagen eines Militärberaters der UNO-Kommission für Syrien im Jahr 2014 würden Familienangehörige von Deserteuren Gefahr laufen, festgenommen zu werden. Syrer im Exil seien daher manchmal zurückhaltend, mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, da sie Vergeltungsmaßnahmen gegen Familienmitglieder in Syrien fürchten würden, die entweder desertiert seien oder sich dem Militärdienst entzogen hätten. Einige syrische Flüchtlinge im Libanon hätten angegeben, dass sie sich nicht trauen würden, die syrische Botschaft in Beirut zwecks Geburtenregistrierung oder der Erneuerung von Dokumenten zu kontaktieren. Eine der Gründe dafür sei laut Angaben einer Hilfsorganisation in Syrien vom Mai 2017 die Sorge um Familienmitglieder in Syrien, die ihren Militärdienst nicht vollständig absolviert hätten:

„Family members of deserters and draft evaders have occasionally been subjected to pressure or arrest. This applies especially to the families of ‘high-profile’ deserters, such as deserters who have killed soldiers or officers, or who have joined armed opposition groups and participated in armed actions against the army (Danish Refugee Council & Danish Immigration Service 2017, p. 14; Finnish Immigration Service 2016, p. 13). For example, families in Damascus of persons who are fighting for the opposition in Eastern Ghouta have been carefully monitored and pressured to provide the authorities with information in connection with their contact with the state bureaucracy, for example when applying for a passport. There are also examples of brothers of deserters being arrested with a view to exchanging them for the deserters if they appear (Danish Refugee Council & Danish Immigration Service 2017, p. 1415; Hilsman 2016). According to an analyst at Carnegie Middle East Centre whom Landinfo talked to in 2014, family members of those who had avoided service were not faced with government retaliation, apart from the fact that the military police occasionally searched their homes to look for those who had evaded service. Family members of deserters, however, could be faced with punishment, especially in circumstances in which the deserter was a known person. Therefore, most ‘high-profile’ officers who deserted in the first year of the war took their families with them into exile (analyst in Carnegie Middle East Centre, meeting in October 2014). When the first officers deserted in 2011 and created the Free Syrian Army (FSA) in 2011, the army went into their villages and burned down all the houses. Since then, the army has not retaliated in the same way, but family members of deserters still risk being arrested (military adviser to the UN Commission for Syria, meeting in October 2014). Syrians in exile are sometimes reluctant to contact the authorities for fear of retaliation against family members in Syria who have deserted or evaded military service. Some Syrian refugees in Lebanon say that they do not dare to contact the Syrian Embassy in Beirut to register childbirths or renew documents. One of the reasons given is concern for family members in Syria who have not completed military service (aid organisation in Syria, meeting in May 2017).” (Landinfo, 3. Jänner 2018, S. 11)

Es konnten keine weiteren Informationen zu Folgen für Familienangehörige in Syrien in Verbindung mit der Kontaktaufnahme mit einer syrischen Vertretung im Ausland durch einen Militärdeserteur oder Oppositionellen gefunden werden. Die folgenden Quellen enthalten allgemeine Informationen zur Lage von Familienangehörigen von Militärdeserteuren:

 

Im Mai 2020 veröffentlicht die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) einen Bericht zum syrischen Militärdienst, der unter Berufung auf verschiedene Experteninterviews wie folgt die Lage von Familienmitgliedern von Deserteuren eingeht:

„A number of consulted sources mentioned that family members of deserters and defectors would not face any consequences from the GoS [Government of Syria] if a family member had deserted from the SAA [Syrian Arab Army]. According to the sources, desertion from the SAA does no longer entail consequences for family members of deserters, as it did previously during the conflict. Jusoor knew families who had not faced any problems with the GoS when they went back to Syria in the recent years, despite having fled Syria with a deserting family member. However, other sources advised that family members of deserters and defectors may face consequences. House visits, harassment, threats, arrest, interrogation, torture, confiscation of property and pressure were among the consequences mentioned by these sources, which desertion or defection may entail. The sources mentioned different factors determining the extent to which the families of deserters and defectors would be subjected to the above-mentioned practices, including the rank of the deserter/defector, the area in which the family lives, the intelligence service responsible for the area, the officer in charge and the religious background of the family. Family members of high-ranking deserters and defectors, and families from rebel-held areas, thus, risked facing consequences for desertion and defection to a larger extent compared to low-ranking deserters/defectors and those from government-controlled areas. Whilst Tsurkov stated that desertion and defection only had consequences for immediate family members, the western diplomat and Al-Ghazi considered that it also had consequences for extended family members (uncle, cousin, aunt etc.). However, Tsurkov noted that it could be hard to distinguish whether a family was punished for the act of desertion itself, or because the person, for instance, had joined the opposition. Aymenn Al-Tamimi assumed that families would face consequences similar to those mentioned above, although he was not aware of any specific cases.” (DIS, Mai 2020, S. 37-38)

Die in den USA ansässige Denkfabrik Tahrir Institute for Middle East Policy (TIMEP) erwähnt im Juni 2018, dass Familienangehörige von Deserteuren manchmal Druck ausgesetzt oder verhaftet worden seien:

„Although some men have fled the country or avoided military conscription simply because they do not want to fight in a war in which their lives may be at stake, others have defected from the army or avoided military service out of political conviction and in opposition to the Syrian regime. At times, family members of draft dodgers and deserters have faced retaliation by the Syrian regime in the form of pressure and arrest.” (TIMEP, 12. Juni 2018)

 

 

 
 

 


Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 12. August 2020)

·      Al-Jazeera: Der Reisepass – Eine Waffe in der Hand des syrischen Regimes, um seine Bürger zu erniedrigen und zu erpressen [جواز السفر.. سلاح النظام السوري لإذلال وابتزاز مواطنيه], 28. Jänner 2019
https://www.aljazeera.net/news/humanrights/2019/1/28/%D8%A7%D9%84%D9%86%D8%B8%D8%A7%D9%85-%D8%A7%D9%84%D8%B3%D9%88%D8%B1%D9%8A-%D8%AC%D9%88%D8%A7%D8%B2%D8%A7%D8%AA-%D8%B3%D9%88%D8%B1%D9%8A%D8%A7

·      DIS – Danish Immigration Service: Syria Military Service, Mai 2020
https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf

·      DW – Deutsche Welle: Die Angst der Syrer vor ihren Diplomaten, 18. Dezember 2018
https://www.dw.com/de/die-angst-der-syrer-vor-ihren-diplomaten/a-46777614

·      Enab Baladi: Dokumentenhandel am Konsulat in Istanbul – “Wir wollen den Bürger gleich in der Früh sehen“ [تجارة الأوراق في قنصلية اسطنبول.. بدنا نتصبح بوجه المواطن], 27. Mai 2018
https://www.enabbaladi.net/archives/231040

·      Infomigrants: Syrian refugees in Germany required to renew passports at pro-Assad embassies, 18. Dezember 2018
https://www.infomigrants.net/en/post/13961/syrian-refugees-in-germany-required-to-renew-passports-at-pro-assad-embassies

·      Landinfo – Norwegian Country of Origin Information Centre: Syria: Reactions against deserters and draft evaders, 3. Jänner 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf

·      Orient News: In Istanbul – so leitet das Konsulat von Assad eine kriminelle Bande, die SyrerInnen erpresst [في إسطنبول.. هكذا تدير قنصلية أسد عصابة تبتز السوريين], 2. Juli 2020
https://orient-news.net/ar/news_show/182057/0/%D9%81%D9%8A-%D8%A5%D8%B3%D8%B7%D9%86%D8%A8%D9%88%D9%84-%D9%87%D9%83%D8%B0%D8%A7-%D8%AA%D8%AF%D9%8A%D8%B1-%D9%82%D9%86%D8%B5%D9%84%D9%8A%D8%A9-%D8%A3%D8%B3%D8%AF-%D8%B9%D8%B5%D8%A7%D8%A8%D8%A9-%D8%AA%D8%A8%D8%AA%D8%B2-%D8%A7%D9%84%D8%B3%D9%88%D8%B1%D9%8A%D9%8A%D9%86

·      SNHR – Syrian Network for Human Rights: The Syrian Regime Uses Passports’ Issuance to Finance Its War and Humiliate Its Opponents, 28. Jänner 2019
http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/The_fourth_worst_passport_and_the_highest_material_cost_in_the_world_en.pdf

·      TIMEP – Tahrir Institute for Middle East Policy: TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, 12. Juni 2018
https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-legislative-decree-no-18-military-service-amnesty/